Die Veranstaltung „Waldai-Diskussionsklub“ findet in Sotschi unter dem Motto „Eine polyzentrische Welt: Gebrauchsanweisung“ statt. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kündigte im Vorfeld an, dass Putins Rede diesem Hauptthema gewidmet sein werde.

„Die Organisatoren gehen davon aus, dass eine polyzentrische – oder multipolare – Welt keine festen Prinzipien und Verhaltensregeln voraussetzt. In einer solchen Welt agieren wesentlich mehr Akteure und bestimmende Faktoren gleichzeitig als in den Systemen der Weltordnung, an die wir uns seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gewöhnt haben“, heißt es auf der Website des Forums.

Der Waldai-Club entstand 2004. In diesem Jahr bringt seine Hauptkonferenz 140 Teilnehmer aus 42 Ländern Asiens, Afrikas, Europas, Lateinamerikas und des Nahen Ostens zusammen, die sich mit Fragen der neuen Weltordnung befassen.

Russland wird die NATO nicht angreifen, aber auf Provokationen reagieren

Am Donnerstag, dem 2. Oktober, dem dritten und letzten Tag des Forums, sprach auch Präsident Putin – seine Rede wurde live übertragen.

Er erklärte, Moskau beobachte genau die Aussagen über die Stärkung der Bundeswehr und die zunehmende Militarisierung Europas. Russland habe im Laufe der Jahrhunderte gezeigt, dass es im Falle einer Provokation schnell reagiere.

Putin betonte, dass Moskau keine Schritte gegen die NATO plane, wohl aber im Falle europäischer Provokationen reagieren werde. „Alle Drohungen eines aggressiven Russlands sind aus der Luft gegriffen. Es ist unmöglich zu glauben, dass Russland die NATO angreifen würde“, zitierten ihn russische Medien.

Die europäischen politischen Eliten schürten seiner Meinung nach Hysterie, indem sie behaupteten, ein Krieg mit Russland stehe bevor. „Ich möchte ehrlich sagen – beruhigen Sie sich, schlafen Sie ruhig und kümmern Sie sich um Ihre eigenen Probleme. Schauen Sie einfach, was auf den Straßen europäischer Städte passiert“, erklärte Putin.

Kampf gegen die gesamte NATO

Putin beschuldigte Europa, für die Fortsetzung des Krieges in der Ukraine verantwortlich zu sein. Russland stehe einer ernsthaften Herausforderung gegenüber, da NATO-Staaten Kiew mit Geheimdienstinformationen, Waffen und der Ausbildung von Soldaten unterstützten. „Alle NATO-Staaten kämpfen in der Ukraine gegen Russland“, betonte er.

Sollten die USA der Ukraine Tomahawk-Raketen mit großer Reichweite liefern, werde dies eine neue Eskalationsstufe auslösen, die Lage auf dem Schlachtfeld jedoch nicht verändern. „Es ist unmöglich, Tomahawks ohne direkte Beteiligung von US-Militärpersonal einzusetzen. Das würde eine qualitativ neue Phase der Eskalation bedeuten, auch in den Beziehungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten“, sagte Putin.

Er dankte zugleich den BRICS-Staaten und arabischen Ländern für ihre Friedensinitiativen und lobte die Unterstützung durch Nordkorea und Belarus.

Lage an der Front

Laut Putin kontrolliert die Ukraine lediglich 0,13 Prozent des Luhansker und 19 Prozent des Donezker Gebiets. Russische Truppen beherrschten fast das gesamte Luhansker Gebiet, seien in die Städte Pokrowsk und Kostjantyniwka eingezogen und hätten zwei Drittel von Kupjansk besetzt.

Russische Streitkräfte rückten entlang der gesamten Frontlinie vor und errichteten dort eine „Sicherheitszone“. Westliche Bemühungen um eine strategische Niederlage Russlands würden letztlich scheitern.

In diesem Zusammenhang reagierte Putin auch auf die Äußerungen von Donald Trump, der Russland als „Papiertiger“ bezeichnet hatte: „Ich weiß nicht, ob er das ironisch meinte. Wenn Russland ein Papiertiger ist – was ist dann die NATO?“

Moskau betreibe im Gegensatz zu Kiew keine Zwangsmobilisierung, da es genügend Soldaten habe. „Die Ukrainer sollten ihre Armee verlassen und lieber darüber nachdenken, wie man eine Einigung erzielt“, meinte Putin. Dem Mangel an Soldaten in der Ukraine stellte er die Empfehlung entgegen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.

Angriffe auf Atomkraftwerke sind ein gefährliches Spiel

Putin warf Kiew vor, versucht zu haben, das Umfeld des Kernkraftwerks Saporischschja anzugreifen. „Das ist ein gefährliches Spiel. Sie sollten damit aufhören“, betonte er.

Ähnliche Aktionen habe es bereits im Vorjahr gegeben, als Sabotagegruppen angeblich auch russische Kernkraftwerke in Kursk und Smolensk ins Visier nahmen. „Wir können reagieren, sie haben ihre eigenen Anlagen“, warnte Putin.

Trotz der Vorwürfe versicherte er, dass die Lage im Kernkraftwerk Saporischschja „insgesamt unter Kontrolle“ sei. Russland unterschätze die Bedrohungen für die eigene Energieinfrastruktur nicht und werde entschieden reagieren.

Wiederherstellung der Beziehungen zu den USA

Putin erklärte, dass Unterschiede zwischen Russland und den USA angesichts der Größe beider Länder normal seien. Die derzeitige US-Regierung verfolge in erster Linie die eigenen Interessen und mache dies auch offen deutlich.

Auch Russland behalte sich das Recht vor, sich an seinen nationalen Interessen zu orientieren. Als eine davon nannte Putin die vollständige Wiederherstellung der Beziehungen zu Washington. Trump bezeichnete er als jemanden, der zuhören könne.

Zur jüngsten Initiative von US-Präsident Trump zur Beendigung des Krieges in Gaza sagte Putin, es gebe Grund zu Optimismus: „Ich denke, am Ende des Tunnels könnte ein Licht sein.“

Moskau sei „voll und ganz bereit“, Trumps Friedensplan zu unterstützen, sofern er die Zwei-Staaten-Lösung beinhalte. Diese sei die Grundlage für eine endgültige Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts.

Putin reagierte auch auf die Idee einer sogenannten „Friedensräte“, die von Trump geleitet werden und der auch der ehemalige britische Premier Tony Blair angehören könnte. Blair sei ein erfahrener Politiker, der eine positive Rolle spielen könne.

Als bessere Variante bezeichnete Putin jedoch, dass das Gazagebiet von der derzeitigen Verwaltung des Präsidenten Mahmud Abbas geführt werde. „Entscheidend ist jedoch, was die Palästinenser selbst, einschließlich der Hamas, darüber denken“, fügte er hinzu.

Er kritisierte zudem die Bemühungen der USA, Indien und China zu zwingen, ihre Energiebeziehungen zu Moskau einzuschränken. Die Einführung sekundärer Zölle gegen russische Handelspartner würde laut Putin die globalen Preise erhöhen und die US-Notenbank zwingen, die hohen Zinsen beizubehalten. „Das würde wiederum die US-Wirtschaft verlangsamen“, erklärte er.

(reuters, est)