Die Vorstellung, dass künstliche Intelligenz (KI) uns beherrschen wird, mag auf den ersten Blick wie das Thema eines Science-Fiction-Romans erscheinen.
Wenn wir jedoch darüber nachdenken, wie oft wir täglich oder wöchentlich unseren bevorzugten Sprachmodellen Fragen stellen – von banalen Fragen, wie zum Beispiel, welche Schwimmbrille wir kaufen sollen, bis hin zu ernsteren Themen wie Gesundheit, Partnerschaft oder geopolitischen Ansichten –, wird uns bewusst, dass sie zu einer Art stiller und freundlicher Ratgeberin geworden ist.
Das wirft jedoch die Frage auf: Was ist der wahre Sinn dieser „guten Ratschläge”? Die Ideen und Anregungen der künstlichen Intelligenz können an die Melodie der Rattenfängerflöte aus Hameln erinnern.
Technofaschismus als intellektuelle Stütze?
Wenn wir uns bewusst machen, dass künstliche Intelligenz nicht nur Vorteile bietet, sondern wie alles auf dieser Welt zwei Seiten hat, können wir uns zu Recht fragen, ob dieses mächtige Instrument nicht in Wirklichkeit dazu dient, langsam eine technokratische Diktatur zu errichten, an deren Spitze die Chefs der großen Technologieunternehmen stehen.
Zu den Schlüsselfiguren gehören beispielsweise Elon Musk, Peter Thiel oder Sam Altman. Einige von ihnen machen keinen Hehl aus ihren politischen Ambitionen oder ihren tiefen Befürchtungen hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der KI. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff „Technofaschismus” geprägt, insbesondere weil einige dieser Führungskräfte wie Musk oder Thiel der Republikanischen Partei nahestehen.
Der Begriff „Technofaschismus“ löst auf den ersten Blick Angst aus. Wenn man ihn ausspricht, stellen sich viele Menschen das Stampfen von Stahlkappenstiefeln vor. Dieses Bild ist stark, und es ist kein Wunder, dass viele Kommentatoren und Politiker, insbesondere Gegner von Donald Trump, Alarm schlagen. Die Kraft dieses Bildes steigert den Verkauf von Artikeln und die Aufrufe in sozialen Netzwerken. Es ist ein dankbares Thema, das jedoch die gesamte Problematik erheblich vereinfacht und die meisten Leser in eine Sackgasse führt. Mit künstlicher Intelligenz ist es nicht so einfach.
Künstliche Intelligenz ist nicht unterwürfig
Das Konzept des Faschismus entstand vor fast hundert Jahren in Italien und hatte vor allem nationalen Charakter. Künstliche Intelligenz wirkt jedoch auf globaler Ebene. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass der Faschismus auf mit Gewalt durchgesetzter Autorität beruhte, während KI nicht autoritär ist. Sie befiehlt nicht und schmeichelt sich nicht ein. Sie wartet nur geduldig, bis der Nutzer mit einer weiteren Anfrage kommt, mit der er selbst nicht zurechtkommt, oder mit dem Bedürfnis, Gedanken auszutauschen, wenn niemand in der Nähe ist.
Traditionelle Diktaturen basierten auf Ideologien, die die Welt universell interpretierten, beispielsweise über Rasse oder soziale Klasse. KI eröffnet jedoch Raum für eine neue Art von Diktatur – personalisiert und auf jeden „Kunden” zugeschnitten.
Sprachmodelle passen sich nach und nach ihren Nutzern an, was eine einzigartige und originelle Entwicklung darstellt. Dieser Wandel bedeutet einen Paradigmenwechsel. Alte Konzepte wie der Faschismus sind nicht mehr geeignet, um die Tiefe des Problems der künstlichen Intelligenz zu verstehen.
Einen tiefen Einblick in die zukünftige Rolle und Macht der KI bietet der französische Philosoph Eric Sadin, der dieses Thema beispielsweise in einem über dreistündigen Interview auf dem Kanal Thinkerview analysiert hat.
Die Stärke von Sadins Überlegungen liegt in ihrer philosophischen Tiefe. Er versucht, das Wesentliche zu erfassen und zu unterscheiden, was wirklich wichtig ist. In der Vergangenheit wies er beispielsweise darauf hin, dass Debatten darüber, ob KI ein Bewusstsein haben kann, Pseudodebatten sind.
Dieses Problem kann nicht gelöst werden, da es keine Einigkeit darüber gibt, was Bewusstsein eigentlich ist. Solche Diskussionen lenken von dem zentralen Problem ab, das die Einführung von ChatGPT mit sich gebracht hat: Wie wird diese Technologie uns selbst verändern? Anstatt künstliche Intelligenz zu erforschen, sollten wir uns mit ihren Auswirkungen auf die menschliche Gesellschaft befassen.
Wirtschaft, Politik und wir
Sadin betont, dass das Problem der Macht in der KI neu definiert werden muss, und führt daher den Begriff der „totalen Macht” ein. Diese Macht basiert auf vier Säulen. Die erste sind Technologieunternehmen, deren Hauptinteresse dem Geschäft und nicht der Macht gilt. Diese Branche erzielt bereits heute enorme Gewinne, was sie zu ihrer weiteren Entwicklung motiviert.
In diesem Punkt stimmt Sadin mit Alexander Karp, dem CEO von Palantir, überein, der in seinem Buch „Technological Republic” darauf hinweist, dass die Erfindungen aus dem Silicon Valley, einschließlich der KI, in erster Linie nicht dem Gemeinwohl dienen, sondern der Erzielung von Gewinnen. Das Potenzial der künstlichen Intelligenz, beispielsweise in der wissenschaftlichen Forschung, wird oft auf banale Aufgaben wie die Entwicklung neuer Rezepte ausgerichtet.
Die zweite Säule sind die Politiker. KI bietet ihnen neue Möglichkeiten, die sie bisher nicht hatten. Auch wenn dieser Trend in Mitteleuropa noch nicht sehr ausgeprägt ist, wird er im Westen zur Norm. Die Entwicklung der künstlichen Intelligenz ist zu einem Ziel an sich geworden.
Ein Politiker, der nicht weiß, wie er das Leben der Bürger verbessern kann, kann sich das Motto der Förderung der KI zu eigen machen. In den USA und in Europa haben führende Politiker erhebliche Investitionen in diesen Bereich angekündigt, die oft als Vorwand für weitere Verschuldung dienen.
Die dritte Säule ist eine neue Welle der digitalen Optimierung. KI wird massiv eingesetzt werden, um Kosten zu senken – Unternehmen wollen ihre Produktivität steigern, verschuldete Staaten suchen nach Einsparmöglichkeiten. Künstliche Intelligenz stellt somit eine Lösung für beide Sektoren dar, was ihre allgegenwärtige Durchsetzung begünstigt.
Die letzte Säule sind wir, die Nutzer. Die Zahl der Menschen, die KI nutzen, wächst rasant – Schätzungen zufolge nutzten im Jahr 2025 900 Millionen Menschen KI, und diese Zahl wird weiter steigen. Die langfristige Nutzung von KI schwächt jedoch die kognitiven Fähigkeiten. Die neue totalitäre Macht kommt also nicht von außen, sondern von innen. Die größte Strafe könnte ein Verbot der Nutzung künstlicher Intelligenz sein.
Das Konzept der totalen Macht geht über eine Warnung vor dem „Technofaschismus” hinaus, den einige Milliardäre propagieren. Selbst sie wissen nicht genau, wohin uns die durch KI ausgelösten anthropologischen Veränderungen führen werden. Diese Veränderungen werden tiefgreifend und möglicherweise unumkehrbar sein.
In Tschechien beispielsweise wurde während der jüngsten Wahlen praktisch nicht über KI gesprochen. Das Bewusstsein für dieses Thema unter den politischen Eliten ist minimal, was den Paradoxon nur noch unterstreicht: Über eine Technologie, die die Grundlagen der Gesellschaft verändern kann, wird entschieden, ohne dass ihre Folgen wirklich verstanden werden.