Finnland als „Brutstätte des Faschismus“. Kartapolow und Medwedew attackieren den Nachbarn
Der ehemalige russische Präsident und derzeitige stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, Dmitri Medwedew, veröffentlichte am 8. September auf der Website der staatlichen Agentur TASS einen ausführlichen Artikel mit dem Titel Neue finnische Doktrin: Dummheit, Lüge, Undankbarkeit.
Wenige Stunden später erschien der Artikel auch in der englischen Version von TASS, und am 10. September zitierte das russische Außenministerium auf der Plattform X eine Passage daraus – allerdings fälschlicherweise mit dem Veröffentlichungsdatum 9. statt 8. September.
📄 Deputy Chairman of Russia's Security Council @MedvedevRussiaE:
The Finnish establishment mustn't forget: confrontation with Russia can lead to collapse of Finnish statehood – this time forever.
❗️Unlike in 1944, no one will go soft on them this time.https://t.co/pPLmBR5L0P pic.twitter.com/WBvS3HMHac
— MFA Russia 🇷🇺 (@mfa_russia) September 10, 2025
Weniger als eine Woche vor der Veröffentlichung des Artikels besuchte Medwedew die finnisch-russische Grenze im Leningrader Gebiet und sprach über den deutlichen Rückgang des Personen- und Warenverkehrs in der Region in letzter Zeit.
„Das Handelsvolumen für das Jahr 2024 betrug lediglich 1,26 Milliarden Euro (zum Vergleich: 2019 erreichte der Warenumsatz 13,5 Milliarden US-Dollar)“, schrieb Medwedew in seinem Artikel.
Von einer Wehmut nach alten Zeiten ist in Medwedews Text jedoch keine Rede.
„Indem das finnische Establishment in einem Anfall von Revanchismus gegen Russland eine neue ‚Mannerheim-Linie‘ errichtet, darf es nicht vergessen, dass eine Konfrontation mit uns zum Untergang der finnischen Staatlichkeit führen kann – diesmal für immer“, paraphrasierte das russische Außenministerium eine Passage aus Medwedews Artikel.
Andrej Kartapolow über Finnland als „Brutstätte des Faschismus“. Video: TASS/TelegramAm 10. September erklärte der ranghohe Staatsvertreter, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Staatsduma und stellvertretende Verteidigungsminister, Generaloberst Andrej Kartapolow, dass das „Projekt Ukraine“ gescheitert sei und Finnland – neben Estland, Lettland, Litauen und Moldawien – nun ein „neuer Druckpunkt an der Grenze“ zu Russland sei.
In einem Video, das TASS auf der Plattform Telegram veröffentlichte, sagte Kartapolow zudem: „Wenn die Politik der derzeitigen finnischen Führung zu irgendwelchen tragischen Folgen führt, dann werden sie die Verantwortung dafür tragen. Wir wissen, wie wir unsere Interessen verteidigen, und wir sind auf jede Entwicklung vorbereitet.“
Nach der russischen Invasion in die Ukraine trat Finnland der NATO bei, womit eine neue, rund 1.300 Kilometer lange Grenze zwischen Russland und dem Nordatlantikbündnis entstand.
Damit verbunden war der Bau russischer Militärstützpunkte an der Grenze zu Finnland. Finnland reagierte entsprechend mit dem Bau eigener militärischer Einrichtungen an der Grenze zu Russland – was Medwedew in seinem Artikel kritisierte.
„Brutstätte des Faschismus“
Im Geist der Kreml-Rhetorik äußerte Kartapolow zudem die Überzeugung, dass Finnland sich „schneller als die Ukraine zu einer wahren Brutstätte des Faschismus entwickelt“.
Medwedew wiederum warf Finnland in seinem Artikel vor, dass seine Luftwaffe auf den Fahnen ein „faschistisches Symbol“ verwende, und bezeichnete die Finnen als „ideologische Erben der finnisch-faschistischen Usurpatoren“.
Zur Erinnerung: Die Luftwaffe der finnischen Streitkräfte verwendet auf ihrer Standarte tatsächlich ein Hakenkreuz – allerdings handelt es sich um Symbolik aus dem Jahr 1918 und nicht um das Symbol des nationalsozialistischen Deutschlands unter Adolf Hitler in den Jahren 1933 bis 1945.

Während des finnischen Bürgerkriegs schenkte der schwedische Graf Eric von Rosen der Weißen Armee ein Flugzeug des Typs Thulin D, das am 6. März 1918 in Finnland landete – ein Datum, das als symbolische Geburtsstunde der finnischen Luftwaffe gilt.
Vor dem Flug über den Bottnischen Meerbusen – der Schweden und Finnland trennt – malte von Rosen auf die Unterseite der Flügel sein persönliches Glückssymbol: ein blaues Hakenkreuz auf weißem Hintergrund.
Seit diesem Sommer arbeitet Helsinki daran, die Swastika schrittweise zu entfernen und durch einen goldenen Adler zu ersetzen.
Die Swastika (finn. hakaristi) findet sich auch in der traditionellen ugrisch-finnischen Symbolik (tursaansydän, mursunsydän), die später auch finnische Künstler wie Akseli Gallen-Kallela (1865–1931) aufgriffen.

Zwei Kriege
Der geheime Zusatz des sowjetisch-deutschen Nichtangriffspaktes von 1939 betraf nicht nur die Aufteilung Polens oder die Besetzung der baltischen Staaten durch die Sowjetunion – auch Finnland fiel darin an Moskau.
Am 30. November 1939 begann die Rote Armee ohne Kriegserklärung eine Offensive gegen Finnland, die als Winterkrieg in die Geschichte einging – dafür wurde die UdSSR am 14. Dezember aus dem Völkerbund, dem Vorläufer der UNO, ausgeschlossen.
Der Krieg endete am 13. März 1940 mit dem Frieden von Moskau, der für Finnland den Verlust großer Gebiete bedeutete, darunter fast ganz Karelien – insgesamt verlor Finnland 41.500 Quadratkilometer. Aus den besetzten Gebieten mussten fast eine halbe Million Menschen evakuiert werden.
Kurz nach Beginn des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 griff die sowjetische Luftwaffe deutsche Einheiten in Finnland an – vor allem auf Flugplätzen.
Finnland reagierte mit dem sogenannten Fortsetzungskrieg, dessen Ziel es war, die Schwächung Moskaus durch den Krieg gegen Deutschland und seine Verbündeten auszunutzen und die besetzten östlichen Gebiete zurück unter finnische Kontrolle zu bringen.
Der Krieg endete de facto mit einem Waffenstillstand am 5. September 1944, als Finnland den Grenzen von 1940 zustimmte – im Gegenzug verpflichtete sich Moskau, die Offensive gegen Helsinki nicht fortzusetzen und seine Truppen auf die Hauptfront Richtung Berlin zu konzentrieren.
Schmerzhaftes Karelien
In seinem Artikel erwähnt Medwedew insgesamt 14-mal auch Karelien – ein historisches Gebiet, das heute zwischen Finnland (Westkarelien) und Russland (Ostkarelien) geteilt ist, wobei der größte Teil unter die Verwaltungseinheit Karelien fällt.
Ende 2024 setzte der russische Inlandsgeheimdienst FSB die Bezeichnung der Karelischen Republik in karelischer Sprache und in weiteren lokalen Sprachen und Dialekten (Karjalan Tašavalta, Tazavaldkund, Tazavaldu) auf die Liste terroristischer Organisationen.
Zusammen mit den lokalen Bezeichnungen Kareliens wurde durch Beschluss des Obersten Gerichts der Russischen Föderation mit Wirkung vom 28. Dezember 2024 auch die Karelische Nationale Bewegung auf die Terrorliste gesetzt. Diese kritisiert seit Langem die Russifizierung des ugrisch-finnischen Kareliens.
Ein Teil der Karelier kämpft in den Reihen der Karelischen Gruppe NORD an der Seite des Russischen Freiwilligenkorps (RDK) gegen russische Truppen in der Ukraine. Mitglieder der Einheit NORD sind fast ausschließlich ethnische Karelier sowie ihnen verwandte Balten und Ugrofinnen.

Finnland und sein russischer Zar
Im Jahr 1809 wurde Finnland als Großfürstentum Teil des Russischen Reiches. Anfangs profitierte es von den Vorteilen einer autonomen Verwaltungseinheit. Doch mit der Zeit nahm die Russifizierung zu.
1917 nutzten die Finnen die Schwächung Russlands infolge der bolschewistischen Revolution und erklärten ihre Unabhängigkeit – im Gegensatz zu Russland siegte in Finnland die Weiße Bewegung, sodass das Land nicht Teil der entstehenden Sowjetunion wurde.
Bereits 1889 war im finnischen Teil des Russischen Reiches das Strafgesetzbuch Finnlands (Suomen rikoslaki) mit Gültigkeit ab 1894 verabschiedet worden.
Obwohl es seither Hunderte von Novellierungen erfahren hat, wurde die Präambel nie geändert. Daher beginnt das finnische Strafgesetzbuch bis heute mit denselben Worten wie vor 136 Jahren – und finnische Bürger werden formell noch immer im Namen des russischen Imperators verurteilt:
„Wir, Alexander der Dritte, von Gottes Gnaden Allrussischer Kaiser und Autokrat, König von Polen, Großfürst von Finnland usw., usw., usw., geben kund: Auf demütigen Vorschlag der Stände Finnlands wollen wir hiermit aus unserer Gnade folgendes Strafgesetz für das Großfürstentum Finnland bestätigen, dessen Inkraftsetzung und Vollzug der Strafen durch eine besondere Verordnung geregelt wird.“
Die Person Präsident Putins und die Herrschaft der Partei Einiges Russland verkörpern für viele Bürger der Russischen Föderation eine Schnittstelle zwischen kommunistischen Ideen – die nicht zuletzt aufgrund nostalgischer Rückblicke überdauern – und den vorrevolutionären wie postsowjetischen Zeiten.
Nach internationalem Recht ist die Russische Föderation jedoch Nachfolgerin der Sowjetunion, nicht des Russischen Reiches, und auch die heutige Kreml-Ideologie stellt das Erbe der UdSSR über das des Zarenreiches.
Das ist auch ein Grund, warum kein russischer Vertreter in den verbalen Attacken gegen Finnland auf den russischen Zaren im finnischen Gesetzeswesen verweist.