Die westliche Welt sieht sich mit Ereignissen konfrontiert, die die Bedeutung der Meinungsfreiheit und der akademischen Offenheit in Frage stellen und Toleranz missbrauchen. Zusammen bilden sie ein System, das andere Meinungen einschränkt.

An Universitäten werden Vorlesungen abgesagt, weil sie „emotionalen Schaden“ verursachen könnten. Das Europäische Parlament drängt darauf, die Definition von „Hassrede” so zu erweitern, dass sie auch religiöse und moralische Standpunkte umfasst. In Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen gibt es immer mehr obligatorische Diversity-Schulungen, die von den Mitarbeitern nicht nur Toleranz, sondern sogar die Zustimmung zu einer progressiven Ideologie verlangen.

Die Begriffe Inklusion und Toleranz werden als Mittel zur Unterdrückung und Kontrolle des Menschen eingesetzt. Immer häufiger werden die Bürger gezwungen, sich dem ideologischen Konsens einer liberalen Bevölkerungsgruppe anzupassen. Es wird weniger über die Wahrheit gesprochen, sondern mehr darüber, ob wir jemanden zufällig beleidigen oder verärgern könnten.

Das Ergebnis ist ein Paradoxon: Eine Gesellschaft, die sich ihrer Freiheit und Pluralität rühmt, beginnt zu bestimmen, was man sagen darf und was nicht. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen entsteht eine neue Form der Totalität, die uns vorschreibt, was wir zu denken haben.

Die akademische Welt verliert ihre Freiheit

An Universitäten, die in der öffentlichen Meinung bis vor kurzem noch als Tempel der Offenheit galten, setzt sich heute zunehmend eine stille Form der Zensur durch – getarnt hinter Phrasen wie „sicheres Umfeld” oder „emotionaler Schaden”. Sicherheit wird zu einem universellen Vorwand, und der Dialog wird oft schon beendet, bevor es überhaupt zu einer Diskussion kommt.

Wie Professor Scott Yenor vom Claremont Institute betont, durchläuft das amerikanische Hochschulwesen derzeit mehrere Revolutionen – eine ideologische, eine demografische und eine institutionelle. Nach Jahrzehnten des schrittweisen Einflusses ist die Ideologie der Vielfalt zur offiziellen Religion des akademischen Milieus geworden. Professoren, die damit nicht einverstanden sind, haben Probleme, zu publizieren, ihre Doktorarbeit abzuschließen oder eine Anstellung zu finden.

Im Jahr 2024 absagte eine Universität in Indiana den Auftritt des konservativen Kommentators Rich Lowry, weil seine Ansichten angeblich die „Sicherheit der Universitätsgemeinschaft” gefährdeten. Ähnlich wurde eine Vorlesung von Olivia Krolczyk über Gender-Ideologie in Washington gestört, und einige Studenten riefen sogar zu einer Versammlung zur Feier der Trans-Community auf.

Ebenso sah sich eine pro-life-Studierendengruppe an der Universität Manchester mit massiven Protesten und einer Petition mit zehntausenden Unterschriften konfrontiert. Der Vortrag, der einige Tage später folgen sollte, wurde abgesagt, weil der Redner sich für den gewaltfreien Schutz des Lebens einsetzte.

Der Bericht „The Current State of Free Speech in Higher Ed” (Der aktuelle Stand der Meinungsfreiheit in der Hochschulbildung) zeichnete vor dem Hintergrund dieser und vieler anderer Fälle ein Bild vom Stand der Meinungsfreiheit an amerikanischen Universitäten. Den Autoren zufolge geben mehr als 70 Prozent der Studierenden zu, dass sie Angst haben, ihre Meinung offen zu äußern, wenn diese nicht der vorherrschenden progressiven Meinung entspricht.

Die aktuelle Krise der akademischen Freiheit ist also nicht nur ein Kampf um Worte oder Vorlesungen. Es ist ein Kampf um den Sinn der Universität selbst. Wenn die Universität ein Ort der Wahrheit und nicht der ideologischen Indoktrination bleiben soll, muss sie sich für die Erziehung zu Weisheit, Erkenntnis und Tugend entscheiden.

Religiöse Überzeugung als Hassrede

Im Jahr 2024 verabschiedete das Europäische Parlament eine Entschließung, in der es die Erweiterung der Liste der Straftaten in der EU um „Hassreden” in Artikel 83 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU fordert. Die Definitionen von „Hassrede“ sind von Land zu Land unterschiedlich, und ihre Ausweitung auf die Ebene der Union würde eine Zentralisierung der Rechtskompetenz im Bereich der Meinungsfreiheit bedeuten. Sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität würden in diesem Fall unter den Schutz der Union fallen.

Es muss jedoch hinzugefügt werden, dass EU-Entschließungen nicht rechtsverbindlich sind, sondern die politische Position und die Schlussfolgerungen der EU-Institutionen zum Ausdruck bringen. Würde der Vorschlag Rechtskraft erlangen, könnte dies auch zu Sanktionen bei religiösen oder moralischen Äußerungen führen.

Um den Druck auf die Politiker zu erhöhen, hat der Forschungsdienst des Europäischen Parlaments einen Bericht mit dem Titel „Hate speech and hate crime: Time to act?“ (Hassrede und Hassverbrechen: Zeit zum Handeln?) veröffentlicht, in dem er zu dem Schluss kommt, dass Hassrede eine steigende Tendenz aufweist. Gleichzeitig schlägt er die Schaffung von Mindestvorschriften in diesem Bereich für alle Mitgliedstaaten vor.

Die Europäische Kommission hat kürzlich eine neue Strategie für die Jahre 2026 bis 2030 vorgestellt, deren Ziel es ist, den Schutz der Rechte von LGBT-Personen in der EU zu stärken, und die als weiterer Schritt zur ideologischen Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Mitgliedstaaten angesehen werden kann. Unter dem Vorwand der Bekämpfung von Hass versucht Brüssel, seinen Einfluss in sensiblen kulturellen und ethischen Fragen auszuweiten.

Wie der verstorbene Papst Benedikt XVI. in seinem Buch Benedikts Europa in der Krise der Kulturen warnte, „wird man bald nicht mehr behaupten können, dass Homosexualität eine objektive Unordnung in der Gestaltung des menschlichen Lebens ist“.

Das ist keine übertriebene Behauptung. Als Beispiel kann der Fall der ehemaligen finnischen Innenministerin Päivi Räsänen dienen, die vor Gericht gestellt wurde, weil sie einen Beitrag geteilt hatte, in dem sie die Frage stellte, warum die finnische lutherische Kirche offiziell den finnischen Pride unterstützt. Das beigefügte Foto enthielt Bibelverse, die homosexuelle Handlungen kritisieren.

Diversitätstrainings

Sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor wächst weltweit der Druck, obligatorische Kurse oder Trainings zu Diversität, Gleichheit und Inklusion (DEI) zu absolvieren. Im Rahmen dieser Kurse lernen Mitarbeiter und Studenten, richtig zu reagieren, richtig zu sprechen und vor allem richtig zu denken.

Nach dem deutschen Gesetz gegen Diskriminierung müssen Diversity-Schulungen allen Mitarbeitern angeboten werden, wobei deren Absolvierung in der Praxis als Teil der Dienstpflichten angesehen wird.

Großbritannien wiederum erhöht im Rahmen dieses Trends die Ausgaben für Schulungen zu Diversität, Gleichheit und Inklusion in der staatlichen Verwaltung. Die einzelnen Ministerien gaben zu, dass sie mehr als eine Million Pfund aus den Taschen der Steuerzahler für solche Schulungen ausgegeben haben.

Eine Studie der Harvard Business School hat jedoch gezeigt, dass Schulungen dieser Art nur eine sehr begrenzte Wirkung haben. Das Ergebnis ist meist eine vorsichtige Atmosphäre, in der die Menschen Angst haben, ihre wahre Meinung zu sagen, um nicht als unsensibel oder toxisch abgestempelt zu werden.

Viele Unternehmen, darunter auch Technologiegiganten in den USA, haben bereits interne „Diversitäts-Scores” eingeführt. Aktuelle Daten bestätigen, dass diese Indikatoren zunehmend mit der Personalbeschaffung und dem beruflichen Aufstieg verknüpft sind. Unternehmen nutzen sie, um den „Fortschritt” in Sachen Gleichberechtigung zu bewerten, schaffen damit aber gleichzeitig ein System, in dem beruflicher Erfolg anhand der ideologischen Übereinstimmung und nicht anhand der Fähigkeiten gemessen wird.

Wenn diese Indikatoren mit Vergütungen und Karrierefortschritten verknüpft werden, wird die ideologische Übereinstimmung Teil der Leistungsbewertung, wodurch die Eigenschaften eines Mitarbeiters oder Studenten nach kulturellen Standards und nicht nur auf der Grundlage seiner Fachkenntnisse als „wertvoll“ oder „wertlos“ eingestuft werden. Es geht also nicht um das Streben nach wahrer Gerechtigkeit, sondern um formale Gehorsamkeit.

Von Toleranz zu Totalität

Durch die Verbindung dieser drei Ebenen – akademisch, legislativ und beruflich – entsteht ein einheitliches Bild: Der ursprüngliche Wert der Toleranz verwandelt sich in ein System, das nicht die Wahrhaftigkeit einer Aussage bewertet, sondern deren emotionale Wirkung und Übereinstimmung mit der Norm.

Wie der Philosoph Karl Popper in seinem Werk The Open Society and Its Enemies (Die offene Gesellschaft und ihre Feinde) „führt unbegrenzte Toleranz zum Untergang der Toleranz. Wenn wir auch gegenüber Intoleranten grenzenlos tolerant sind, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaft gegen ihre Angriffe zu verteidigen, dann werden die Toleranten zusammen mit der Toleranz vernichtet werden“.

Poppers Paradoxon sollte ursprünglich die demokratische Gesellschaft vor den totalitären Ideologien des Nationalsozialismus und Kommunismus schützen. Heute jedoch wird dieses Prinzip auf den Kopf gestellt und nicht gegen diejenigen eingesetzt, die die Freiheit zerstören wollen, sondern gegen diejenigen, die den Mut haben, sie zu verteidigen.

Die westliche Kultur, die einst in der christlichen Vorstellung von der Würde des Menschen verwurzelt war, versucht nun, ohne diese Wurzeln zu überleben. Aber ein Baum, der seine Wurzeln abgeschnitten hat, kann nicht lange Früchte tragen.

„Es ist offensichtlich, dass ein falsches oder unbestimmtes Verständnis von Freiheit, das die Grundlage dieser Kultur bildet, unweigerlich zu Widersprüchen führt und dass seine Anwendung zu einer Einschränkung der Freiheit führt, wie sie sich die vergangene Generation nicht einmal vorstellen konnte“, schrieb der bereits erwähnte Papst Benedikt XVI.

Eine Gesellschaft, die von Empathie spricht, aber Widerspruch verbietet, verwandelt sich in ein System, in dem Wahrheit durch Bequemlichkeit und Moral durch zweifelhafte Ideologie ersetzt wird. Die grenzenlose Anwendung von Toleranz ist zu einer neuen Form der Totalität geworden.