Frankreich erlebt im letzten Jahr eine Reihe beispielloser Ereignisse. Seit letztem Sommer hat es bereits den vierten Premierminister, der innerhalb eines Monats zweimal Premierminister wurde. Seine erste Regierung hat er selbst aufgelöst, sobald er sie ernannt hatte. Mit einer fast identischen zweiten Regierung hat er nun eine Misstrauensabstimmung überstanden, aber bis zum Sommer wird er wahrscheinlich nicht durchhalten.
Vor dem Hintergrund dieser Turbulenzen unter Präsident Macron kommt es zu einem weiteren Ereignis. Der ehemalige Präsident Sarkozy muss ins Gefängnis. Das schwankende Regime der Fünften Republik schickt einen seiner Totengräber hinter Gitter. Aber auch die Richter und Sarkozys Anhänger im Élysée-Palast begraben sie.
Monarchistische Demokratie und das Problem der Stabilität
Die Fünfte Republik von De Gaulle basiert auf einer einzigartigen Verbindung von Elementen der Monarchie und der Demokratie. Sie verleiht dem Präsidenten außergewöhnliche Befugnisse, über die Vertreter demokratischer Staaten normalerweise nicht verfügen. Amerikanische Präsidenten können da nur neidisch sein.
Wenn der französische Präsident einen Krieg beginnen will, muss er niemanden um Erlaubnis fragen. Er hat die gesamte öffentliche Hand unter seiner Kontrolle. Wenn er zu dem Schluss kommt, dass in einer Stadt oder Region keine Ordnung herrscht, ersetzt er den Präfekten. Wenn er über eine parlamentarische Mehrheit verfügt, kann er die Obstruktion der Opposition überwinden und schnell alles durchsetzen.
Die monarchischen Elemente werden durch die Demokratie ausgeglichen. Sie beschränkt sich nicht nur auf Parlamentswahlen und die Direktwahl des Präsidenten, sondern sieht auch den häufigen Einsatz von Referenden vor. Gerade das Referendum schafft und bestätigt die Übereinstimmung des Präsidenten mit dem Volk, die de Gaulle als entscheidend für die Legitimität und Stabilität ansah. Die Stabilität dieser monarchisch-demokratischen Konstruktion stand in scharfem Kontrast zu den Verhältnissen der Vierten Republik, in der Premierminister und Minister wie am Fließband wechselten.
Die Verfassung soll in erster Linie dem Schutz und der Verwirklichung der nationalen Souveränität dienen, deren Garant gerade der Präsident ist. Sowohl nach innen als auch nach außen. Die souveräne Außenpolitik wurde von de Gaulle und seinen Nachfolgern sowohl im westlichen Block gegenüber Washington, Berlin und Brüssel als auch global in den Beziehungen zu Moskau und Peking umgesetzt.
Unverantwortliche Präsidenten und richterlicher Aktivismus
In Macrons Frankreich herrscht das genaue Gegenteil. Die Regierungen wechseln hier mit der gleichen Geschwindigkeit wie in der Vierten Republik, das letzte Referendum fand vor zwanzig Jahren statt, der Präsident ist gelähmt und offenbart mit seinem scheinbaren Aktivismus nur seine Unterwürfigkeit gegenüber den USA und seine Ohnmacht gegenüber Deutschland.
Auch wenn dieser Niedergang heute durch Emmanuel Macron verkörpert wird, sind seine Ursachen tiefer und umfassender und umfassen langfristige gesellschaftliche Bewegungen, die keinen einzigen Urheber haben. Zwei Faktoren stechen jedoch hervor: der Aktivismus der Justiz und das unverantwortliche Handeln der Präsidenten.
Ursprünglich beeinträchtigte die Judikative in keiner Weise die Beziehung zwischen dem Präsidenten und dem Volk, sie beschränkte sich auf die Umsetzung von Gesetzen und hatte keine politische Rolle. Die Verfassung der Fünften Republik sah keine aktivistischen, ideologisierten Gerichte vor, die heute in Frankreich wie auch anderswo in Europa den demokratischen Willen der Parlamente außer Kraft setzen und Entscheidungen durchsetzen, die keinerlei demokratische Legitimität haben.
Am deutlichsten wird dies in den Entscheidungen des Verfassungsrats und des Staatsrats, die sich wie dritte Kammern des Parlaments verhalten, jedoch ohne demokratisches Mandat.
Aber der Aktivismus dringt auch in die unteren Ebenen der Justiz vor. Im Frühjahr beschloss eine Richterin, die politische Karriere von Marine Le Pen zu unterbrechen, indem sie ihr verbot, irgendwo zu kandidieren. Le Pen kann zwar Berufung einlegen, aber das Verbot gilt sofort, da es sich auf die „vorläufige Vollstreckung” der Entscheidung stützt.
Dies ist ein Institut, das in den 1990er Jahren in das französische Recht aufgenommen wurde. In begründeten Fällen soll es eine Abhilfe in Echtzeit gewährleisten und nicht erst nach langjährigen Berufungsverfahren. Im Fall von Le Pen wurde dieses Institut eindeutig missbraucht.
Prominenter Häftling
Ein weiteres Opfer der Politisierung der „vorläufigen Vollstreckung“ wurde Sarkozy. Ihm wird vorgeworfen, an der Umgehung der Regeln zur Wahlkampffinanzierung beteiligt gewesen zu sein. Seine Gesandten verhandelten 2007 mit dem libyschen Diktator Gaddafi über die Unterstützung von Sarkozys Präsidentschaftskampagne. Diese Verhandlungen fanden nachweislich statt.
Lassen wir einmal beiseite, dass Sarkozys Verteidiger unglaubwürdig behaupten, ihr Mandant habe von nichts gewusst und es sei letztendlich kein Geld geflossen. Das Urteil gegen den ehemaligen Präsidenten ist nicht rechtskräftig, und in einem Rechtsstaat sollte er als unschuldig gelten.
Sarkozy ist heute politisch im Ruhestand, und die Notwendigkeit einer sofortigen Wiedergutmachung ist nicht offensichtlich. Dennoch entschied der Richter auf vorläufige Vollstreckung, wodurch der ehemalige Präsident im Pariser Gefängnis Santé landete.
Niemand rechnet damit, dass er dort die vollen fünf Jahre absitzen wird. Er hat immer noch mächtige Fürsprecher. Präsident Macron betrachtet Sarkozy als seinen Mentor. Er lässt sich von ihm bei regelmäßigen Treffen im Élysée-Palast beraten, zuletzt wenige Tage vor seiner Inhaftierung.
Der prominente Häftling wird auch bald von Justizminister Darmanin besucht werden, seinem politischen Schützling, der ihm seine Karriere in Macrons Regierungen verdankt. Sarkozys Anwalt hat bereits Berufung gegen die vorläufige Vollstreckung eingelegt, und wenn alles so läuft, wie es sich Sarkozys Anhänger vorstellen, könnte er noch vor Weihnachten in der Ruhe seines Zuhauses auf das Ergebnis seiner Berufung warten.
Das ändert jedoch nichts an der mächtigen Symbolik des Niedergangs. Seit der Verurteilung des kollaborierenden Marschalls Pétain ist es das erste Mal, dass ein französischer Präsident ins Gefängnis kommt.
Die Unterwerfung von Paris unter Brüssel, Berlin und Washington
Andererseits hat keiner der entscheidenden politischen Akteure so zum Niedergang der Fünften Republik beigetragen wie Sarkozy. Bereits sein Vorgänger Chirac hatte die Amtszeit des Präsidenten von ursprünglich sieben auf fünf Jahre verkürzt, wodurch er die Position des Präsidenten schwächte und grundlegend in die institutionelle Architektur des Regimes eingriff.
Aber das war nichts im Vergleich zu Sarkozy, der das Amt des Präsidenten und das Institut des Referendums diskreditierte und Frankreich Brüssel, Berlin und Washington unterordnete.
Seit seinem Amtsantritt provozierte Sarkozy mit seinem unpräsidialen Verhalten: zweifelhafte Kontakte, Ehefrauentausch, vulgäre Sprache und neureiche Manieren. Das Schlimmste blieb jedoch unter der Oberfläche verborgen und kam erst nach seinem Ausscheiden aus dem Amt ans Licht: ein klientelistisches Netzwerk, das einem Mafiaboss würdig war.
Sarkozy hat bereits eine unbedingte Verurteilung wegen Beeinflussung von Richtern hinter sich, die er nicht hinter Gittern verbüßen musste, da sich das Gericht mit einer elektronischen Fußfessel zufrieden gab.
Die Entstehung des Paares Merkozy
Ungeachtet der aktivistischen Justiz stellen seine Kontakte zu Gaddafi einen Skandal von gigantischem Ausmaß dar. Unabhängig davon, was vor Gericht bewiesen wird, hat die erste Hälfte seiner Präsidentschaft gezeigt, dass er eine Vereinbarung mit Gaddafi getroffen hat. Seine damalige Frau Cecilia präsentierte sich in Tripolis als Befreierin der von Libyen festgehaltenen bulgarischen Krankenschwestern, und Gaddafi selbst kam zu einem bizarren Besuch nach Paris. Dies wirft einen noch dunkleren Schatten auf die Beteiligung von Sarkozys Frankreich an der Liquidierung Gaddafis.
Sarkozy hat jedoch vor allem das Referendum missbraucht und begraben. Als Chirac 2005 die Bürger über den Europäischen Verfassungsvertrag entscheiden ließ, lehnten sie das Brüsseler Dokument ab. Anstatt zu bestätigen, dass Europa diesen Weg nicht gehen würde, einigte sich sein Nachfolger mit Brüssel auf einen Trick, mit dem er den Willen des Volkes umging.
Das Dokument wurde kosmetisch überarbeitet und in den Vertrag von Lissabon umbenannt, den Sarkozy von seiner parlamentarischen Mehrheit verabschieden ließ. Er selbst hat kein Referendum mehr angekündigt, und seine Nachfolger sind ihm darin gefolgt. Aber ohne Referendum bricht die Grundachse der Konstruktion der Fünften Republik zusammen.
Es ist kein Zufall, dass er das Referendum wegen Brüssel kastriert hat, gegenüber dem Frankreich immer mehr an Autonomie verliert. Das Gleiche gilt für Berlin, das ein besonderes Interesse an dem Dokument hatte. Unter anderem auch deshalb, weil der Vertrag von Lissabon das Stimmgewicht Deutschlands auf Kosten Frankreichs und anderer Länder gestärkt hat.
Vom Verteidiger der Souveränität wurde der französische Präsident zu einem untergeordneten Partner im Duo Merkozy, wie seine Verbindung mit der deutschen Bundeskanzlerin Merkel damals genannt wurde. Die gleiche Unterordnung zeigte er gegenüber Washington, als er die Entscheidung de Gaulles rückgängig machte und Frankreich wieder in die militärischen Strukturen der NATO zurückführte. Die Armee, die eigentlich eine Bastion der nationalen Souveränität sein sollte, begann sich zu atlantisieren.
„Normaler“ Frauenheld und „Rothschild-Narziss“
Sarkozys Nachfolger Hollande setzte auf seine Unauffälligkeit, setzte aber ansonsten den Kurs seines Vorgängers fort, mied Referenden wie der Teufel das Weihwasser und schaffte es nicht, Frankreich seine Souveränität zurückzugeben.
Er überzeugte die Franzosen, die Sarkozys Exzesse satt hatten, davon, dass sie eigentlich einen „normalen“ Präsidenten wollten, dessen größter Skandal geheime Ausflüge mit dem Motorroller zu seiner Geliebten oder die bissigen Memoiren ihrer Rivalin sind. Eine Zeit lang glaubten sie das vielleicht auch, bis sie feststellten, dass sie eigentlich gar keinen normalen Präsidenten wollen, dass ein Präsident doch irgendwie außergewöhnlich sein muss.
Ein Teil der Franzosen glaubte, dass sie die außergewöhnlichen Eigenschaften eines Präsidenten in einem jungen Mann aus der Rothschild-Bank entdeckt hatten. Dann stellten sie fest, dass er außer Narzissmus, Manipulationskunst und einer Vorliebe für eine Generation ältere Frauen gar nicht so außergewöhnlich ist.
Er konnte zwar schön über die Größe Frankreichs sprechen, aber ansonsten trat er nicht aus dem Schatten seiner beiden Vorgänger heraus. Wenn ihm heute Frankreich unter den Händen zerfällt, wiederholt er nur, dass er dabei bis zum unrühmlichen Ende dabei sein will.