In den letzten Wochen haben sich russische Truppen diesem wichtigen logistischen Knotenpunkt nach über einem Jahr kontinuierlicher Vorstöße genähert. Diese verliefen langsamer, da die Angreifer anstelle einer Frontaloffensive einen Zangenangriff einsetzten, mit dem sie Pokrowsk nahezu vollständig einkreisten und die ukrainischen Nachschublinien bedrohten.
Anschließend setzten sie kleine Stoßtrupps und Drohnen ein, um die Logistik zu stören und Chaos in den rückwärtigen Gebieten der ukrainischen Streitkräfte zu erzeugen.
Laut einer Mitteilung des 7. Armeekorps der Ukraine hat Russland rund 11 000 Soldaten eingesetzt, um das weitere Gebiet um Pokrowsk zu umzingeln. Feindliche Gruppen, die bereits Teile der Stadt erreicht haben, versuchen nun, weiter nach Norden und Nordwesten vorzudringen.
Moskau hat seine Angriffe verstärkt, während die von den USA geführten diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des seit der russischen Invasion im Februar 2022 andauernden Krieges ins Stocken geraten.
Der Kreml fordert weiterhin, dass die Ukraine als Bedingung für Friedensverhandlungen das gesamte Gebiet des Donbas, in dem Pokrowsk liegt, abtritt – was Kiew ablehnt.
Gefahr eines Durchbruchs der Verteidigung
Nach Angaben der ukrainischen Analysegruppe DeepState gelang es Russland am Mittwoch, die militärische Nachschubroute in die benachbarte Stadt Myrnohrad durch Infanterieüberfälle und Drohnenangriffe zu unterbrechen.
Die Gruppe warnte, dass die Ukraine Truppen auf Brigadeebene einsetzen müsse, anstatt kleinerer Einheiten, um ein weiteres Eindringen der Russen in Pokrowsk zu verhindern.
„Die Situation in Pokrowsk steht am Rande eines kritischen Punktes und verschlechtert sich weiter so sehr, dass es bald zu spät sein könnte, etwas zu ändern“, erklärte DeepState. Sie veröffentlichte auch ein Video, das ukrainische Soldaten zeigt, wie sie eine russische Flagge zerstören, die kurzzeitig am Stadteingang gehisst worden war.
In einer späteren Aktualisierung meldete DeepState, dass russische Truppen versuchen, in kleinen Gruppen in Pokrowsk und ein benachbartes Dorf einzudringen. Sie hätten das schlechte Wetter und Lücken in der ukrainischen Verteidigung ausgenutzt.
Russlands Präsident Wladimir Putin erklärte am Mittwoch, dass ukrainische Einheiten in Pokrowsk und in Kupjansk eingekesselt seien. Das ukrainische Militär wies diese Behauptungen als „Fantasien“ zurück und betonte, dass Pokrowsk nicht blockiert sei und die Versorgungsrouten intakt blieben.
Der deutsche Kriegsreporter Julian Röpcke schrieb auf X, die Russen hätten die Kontrolle über große Teile Pokrowsks erlangt und dort logistische und Nachschubwege aufgebaut, die nun aus der Stadt heraus und nicht von außen nach Pokrowsk hinein funktionierten. Er kritisierte, dass die ukrainische Militärführung weiterhin die Schwere der Lage leugne.
The situation in Pokrovsk is fluid and changing for the worse by the hour. This is my provisional map of how it looks today. pic.twitter.com/mtHoq6ptYc
— Julian Röpcke🇺🇦 (@JulianRoepcke) October 29, 2025
„Schwierigste“ Situation laut Selenskyj
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete in seiner abendlichen Ansprache am Mittwoch die Lage rund um Pokrowsk als „die schwierigste“ entlang der etwa 1 250 Kilometer langen Frontlinie.
„Wie schon in den vergangenen Wochen ist dies der Abschnitt mit der intensivsten Kampfaktivität und einer starken Konzentration russischer Kräfte“, sagte er nach Beratungen mit dem Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Oleksandr Syrskyj.
Selenskyj fügte hinzu, dass die Situation in der nordöstlichen Stadt Kupjansk „schwierig bleibt, unsere Einheiten dort jedoch in den letzten Tagen mehr Kontrolle erlangt haben. Wir verteidigen weiterhin unsere Stellungen.“
Die Einnahme Pokrowsks wäre laut Selenskyj für Moskau entscheidend, um der Welt zu zeigen, dass es auf dem Schlachtfeld die Oberhand hat.
Bedeutung der Stadt
Pokrowsk ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt der gesamten Region – sowohl auf der Straße als auch auf der Schiene. Militärische Experten warnten bereits im vergangenen Jahr, dass der Verlust dieses Verteidigungszentrums bedeuten könnte, dass „die gesamte Frontlinie zusammenbricht“.
Die Stadt liegt höher als der übrige, von der Ukraine kontrollierte Teil des Donezker Gebiets. Ihre Einnahme würde den russischen Vormarsch nach Westen deutlich erleichtern.
Die Kontrolle über Pokrowsk und die nordöstlich gelegene Stadt Kostjantyniwka würde Russland ermöglichen, weiter in Richtung der beiden größten, noch von der Ukraine gehaltenen Städte im Donezker Gebiet vorzurücken – Kramatorsk und Slowjansk.
(reuters, est)